In der Partnerschaft der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) zu den beiden Propsteien der ELKER (Ev.-Lutherische Kirche im Europäischen Russland) an der Mittleren und Unteren Wolga hat sich im „Wolga-Beirat“ des Berliner Missionswerk ein Kreis von Pfarrer:innen bereit gefunden, um von nun an regelmäßig mit übersandten Predigten bei den Gottesdiensten dort auszuhelfen. Hier nun die Weihnachtspredigt von Justus Werdin an die Partner:innen an der Wolga, die wir mit Ihnen teilen wollen.
Predigt zu Heiligabend 2023, Lk. 2, 1-20.
Liebe Schwestern und Brüder, liebe am Heiligabend versammelten Gemeinden in unseren Partnerpropsteien an der Mittleren und Unteren Wolga!
Soeben haben wir die Botschaft von der Geburt unseres Heilands und Erlösers vernommen: Gott ist Mensch geboren! Das wird uns auch in diesem Jahr aufs Neue bezeugt. So müssen wir angesichts der vielfältigen dunklen Mächte, die mit ihrem Verderben aus der Finsternis hervorbrechen, weder irren noch zweifeln. Dagegen leuchtet viel stärker mitten unter uns Hörenden und Glaubenden die Klarheit Gottes vom Himmel auf, in der Nacht, in der Jesus, der Christus, geboren wird. Als dem Leitstern unserer Hoffnung folgen wir gern dem Zeugnis des Evangelisten Lukas, der uns diese wunderbare Geschichte überliefert hat. Damit können wir heute, wo wir auch sind, die Spur der Hoffnung auf das Heil für die ganze Welt aufnehmen und wollen sie auch nicht verlassen. Sie will und wird uns leiten zu dem Frieden, der höher ist als alle Vernunft. Das ist unser Weg zum Leben, den schon unsere Vorfahren in den Familien und in den Gemeinden gegangen sind: auf den eigenen Schicksalswegen oftmals höchst bedrängt, wenn geradezu apokalyptisch vom Himmel herab waffenblitzende Gewitter niedergingen und dazu schwere Hagelstürme alles Nahrhafte zerschlugen. Ihre Wege führten oft durch viele enge Schluchten, schutzlos den Gewalten ausgeliefert durch endlos weite Steppen und durch schier undurchdringliches Dunkel in Wäldern voller Gefahren.
Um uns heute unseres gemeinsamen Weges im Glauben zu vergewissern, möchte ich der Weihnachtsbotschaft nachlauschen, wie sie „die Menge der himmlischen Heerscharen“ gesungen haben: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“ Dieser Botschaft möchte ich Raum geben, damit sie mir helfe besser zu verstehen: Ist denn in diesem wunderbaren Geschehen auch ein Platz für mich? Und wo ist dafür der rechte Ort in dieser Welt? Mit den Antworten, die ich für uns alle suchen und finden will, werden wir erkennen, wozu wir berufen sind, heute und jeden Tag, den Gott, der Herr aufs Neue werden lässt.
Doch zunächst diese Frage: Ja, das Jesuskind hat Eltern, Maria und Josef, aber wie steht’s mit dem Elternhaus? Nun, das steht in Nazareth. Doch von dort müssen sie los. Der Kaiser hat’s befohlen, der mächtigste Mann im Reich. Durch des Kaisers Befehl kommt es so, dass Jesus geradezu unterwegs geboren wird, nur notdürftig in einem Stall untergekommen, am Stadtrand von Bethlehem. Und genau hier bezeugt Lukas eine ganz andere, die viel ältere Geschichte. Die trägt sich in den Lauf des weiteren Geschehens ein, und zwar ungleich stärker als jeglicher Befehl irgendeines Kaisers es bewirken kann: „Bethlehem, die Stadt Davids, weil Josef aus dem Hause und Geschlechte Davids war.“ Ja, wiewohl dem Befehl des Kaisers Folge geleistet werden musste, wandelt sich die Geschichte plötzlich in eine andere, in eine viel ältere. Sie fließt in den großen, unaufhaltsamen Strom hinein, wo von allem Anfang an die Weissagungen des Allmächtigen sich erfüllen. Das mag zunächst unscheinbarer sein als die Befehle der Mächtigen, es ist aber ein viel stärkeres Band, viel wirkmächtiger, weil es auf unsere Bestimmung trifft und uns zu jeder Zeit aufs Neue darin einbindet. Es geht um die Stärkung der eigenen Gewissheit, zu einem Volk zu gehören, dem eine wunderbare Berufung zugesprochen ist, zu Frieden und Freude. Diese Berufung ist wie ein wärmender und schützender Mantel in noch so kalter Nacht.
Dieses Band, das aus der Glaubensgeschichte Israels herrührt, wollen wir dankbar auch als unsere Berufung annehmen, die wir auf den Namen Jesu Christi getauft sind. Wir gehören zur Familie all derer, denen die Verheißungen des Himmels zugerufen werden. Gott ist Mensch geworden, ganz so wie wir, damit er noch viel näher bei uns ist und wir es umso leichter haben, uns bei ihm zu wissen. Da kann ich sein in der Welt, wo ich will: hier bei Ihm bin ich geborgen in Seiner Allgegenwart. Durch Ihn wirken die Kräfte des Himmels, die uns stärken und leiten wollen. Sie waren schon zu allen Zeiten und sind weiterhin: ein Licht auf unseren Wegen (Ps. 119, 105), sie sind: Stecken und Stab im finsteren Tal (Ps. 23, 4) und sie leiten uns, dass wir gehen von einer Kraft zur andern (Ps. 84, 8). So ist die Welt, in der ich lebe; so ist die Welt, in der wir als Kinder Gottes leben dürfen. Wir leben nie im Abseits des Weltgeschehens. Nein, mitten in allem Weltgeschehen werden wir über jedes Verstehen hinaus täglich auf den Weg geleitet, der zu Heil und Frieden führt.
Wir lauschen dem Zeugnis nach, wie bei den Hirten auf dem Feld, draußen weit vor Bethlehem auf einmal in bisher ungesehener Lichtfülle der ganze Himmel sich öffnete und die Engel den Lobgesang anstimmten, der Himmel und Erde vereint. Der ganze Raum war erfüllt von dem Lobgesang im Lichte der Ewigkeit. Welche Freude! Was für ein Frieden! Und was für ein Atem, was für ein Klang! Ja, damit wir nicht zu klein denken: es ist genau derselbe Atem Gottes, der uns einst das Leben eingehaucht hat und uns damit Tag und Nacht am Leben erhält. Zur Ehre Gottes und zum Frieden der Menschen soll der Atem dienen, der unsere Tage ausfüllt! Durch uns soll er hörbar werden mit Gesang und Gebet, Dank und Fürbitte, freundlicher Ansprache und guten Wünschen, die wir füreinander aussprechen. Und wie ist es aus aller Not befreiend, wenn wir sogleich in den Lobgesang mit einstimmen! Denn wer singt, der betet doppelt. Wer singt, enthebt sich alles Schweren. Das ist uns besonders durch unseren Reformator Martin Luther und die vielen Dichterinnen und Dichter nach ihm so überaus dankenswert in die Tradition unserer Kirchen eingetragen. Wir werden uns nicht versäumen, sogleich die Lob- und Dankchoräle als Herzensgesänge anzustimmen zur Stärkung unserer innersten Zuversicht! Die wird niemand uns nehmen können. Wohl aber darf genau das von uns gehört werden, dort, wo wir sind. Die Welt um uns herum ist dafür niemals zu klein.
Ja, in welcher Welt sind wir denn?
Liebe Gemeinde, die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus ist das Geschenk, das wir immer wieder neu mit großer Freude und Dankbarkeit annehmen dürfen: Gott ist da! Christus ist hier! Vom Anbeginn der Welt kennt er alle Wege der Menschen, an allen Orten, da kann ich sein, wo auch immer ich bin. Und der Himmel mit allen seinen Engeln weitet sich über uns alle aus als Schirm und Schutz und kennt keine Ausnahmen. Hier ist das Licht für unsere täglich nötige Hoffnung und Glaubenserkenntnis! Hier ist das Zeugnis, das uns die erlösenden Gedanken schenkt! Hier, über der ganzen Erde und allen Menschen, weht schon der Atem des Heils. Da sind wir mit allem, was wir sind, bereit einzustimmen in den Lobgesang: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“ Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.