Neu gelesen in vielen Sprachen: Radka Denemarkovás Roman über Ausgrenzung und Vertreibung 

Das Buch „Geld von Hitler“ sorgte in der Tschechischen Republik 2006 für Aufsehen, brach es doch mit einem Tabu: jüdische Nachbarn in der Tschechoslowakei als Opfer nicht nur der nationalsozialistischen Politik im Protektorat Böhmen und Mähren, sondern erneut nach der Befreiung der Tschechoslowakei in der Nachkriegszeit bis hin zu antisemitischen Vorurteilen nach 1990. Die Autorin erhielt dafür den wichtigsten tschechischen Literaturpreis Magnesia Litera und hat seitdem viele weitere internationale Auszeichnungen erhalten. Das Buch wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Jedes ihrer neuen Bücher weckt großes öffentliches Interesse, wie zuletzt „Stunden aus Blei“ über politischen Widerstand und seine Grenzen in China. In Europa gefeiert, reagierten die Machthaber in China mit einem Einreiseverbot auf den Erfolg. 

Ihr früher Roman über die Traumata der Vertreibung „Peníze od Hitlera“ erschien zunächst 2009 auf Deutsch unter dem Titel “Ein herrlicher Flecken Erde” in der Übersetzung von Eva Profousová. 2024 brachte der Veralg Edition Tandem eine Neuauflage mit dem wörtlich aus dem Original übersetzten Titel “Geld von Hitler” auf den Buchmarkt. Dieses Geld von Hitler hatten jene Nachbarn und früheren Arbeiter der Familie Lauschmanová angenommen, die von der Vertreibung ihrer jüdischen Nachbarn profitierten, indem sie das zurückgelassene Eigentum für sich beanspruchten. Gita Lauschmanová, Hauptfigur des Romans, kehrt als Sechzehnjährige 1945 aus dem Konzentrationslager zurück in ihr Heimatdorf, das tschechische Puklice (Puklitz bei Iglau). Sie ist  tschechische Staatsbürgerin jüdischer Herkunft und deutschsprachig aufgewachsen. Sie hofft darauf, ihre Eltern und ihren Bruder zu Hause anzutreffen. Stattdessen schauen feindselige Augen auf sie, als sie wie selbstverständlich in ihr Elternhaus eintritt und auf dem Esstisch die vertraute Suppenterrine steht, ohne dass sie zu der ersehnten warmen Mahlzeit eingeladen wird. Sie erfährt Feindschaft, Ausgrenzung und erneute Verfolgung. Nachbarn erkennen sie, aber bekennen sich nicht zu ihr. 
„Der Familienbesitz wurde konfisziert, Fremde leben jetzt dort, und die Deutschsprachige wird als Staatsfeindin verjagt. Erst sechzig Jahre später kehrt Gita zurück, um die Familie zu rehabilitieren. Und wieder schlägt ihr als ehemalige Großgrundbesitzerin der Hass der Dorfbewohner entgegen. Doch längst ist für Gita Weiterleben zur Kampfansage gegen Gewalt und Lüge geworden. Mutig, mit sehr plastischen, unter die Haut gehenden Bildern und mit enormer Sprachmacht wagt dieser kompromisslose Roman, für den die Autorin mit dem bedeutendsten tschechischen Literaturpreis ausgezeichnet wurde, einen Blick auf die verdrängte deutsch-tschechische Nachkriegsgeschichte.” (Verlagstext)

Ich hatte das Glück, die Autorin in diesem Spätsommer gleich zwei Mal bei Lesungen zu erleben. Der Roman wurde als szenische Lesung des Dresdner Staatsschauspiels unter Mitwirkung der Autorin während des Lausitz-Festivals auf die Bühne gebracht. Bei der Jahresversammlung der Aktion Sühnezeichen in der Diakonissenanstalt Dresden sprach Denemarková mit der Verlagslektorin Sarah Houtermans, frühere ASF-Freiwilligen in Prag, über ihre Bücher und las einen Abschnitt aus „Geld von Hitler“. Sie kam gerade von einer Lesereise in Schulen in Thüringen und Sachsen. Sie erzählte davon, dass der Roman gleich nach Ausbruch des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 ins Ukrainische übersetzt wurde. Aktuell wird eine hebräische und arabische Ausgabe des Buches vorbereitet. Es beeindruckt, welche Wirkung dieser Roman entwickelt – Literatur als Mahnung zur Menschlichkeit im Angesicht der Menschenverachtung. 

Annemarie Franke