Laudatio zum Festakt 75 Jahre Konvent der ehemaligen ev. Ostkirchen

von Regionalbischof Dr. Dr. h.c. Johann Schneider, Magdeburg

Sehr geehrter Herr Oberkirchenart, episcopus nominatus Frank Kopania,
sehr geehrter Herr Weihbischof Dr. Hauke,
sehr geehrte Herr Schmelzle,
hochlöblicher Generalsuperintendent Herche,
sehr geehrte Gäste, 
meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Schwestern und Brüder in Christus,

ich danke herzlich für die Einladung und freue mich, an dieser Stelle die Laudatio auf den Konvent der ehemaligen evangelischen Ostkirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland halten zu dürfen. Eine Laudatio auf den 75-jährigen steht immer in der Perspektive von Matthäus 23. Ich muss Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sie alle bibelkundig sind, nichts von der Perspektive von Matthäus 23 erzählen. Dennoch möchte ich gerne einiges aussprechen, was sich an dieser Stelle gehört und was an diese Stelle hingehört. In biblischen Maßstäben ist der Konvent auf ein Menschenleben bezogen schon fast in der Ewigkeit angekommen!

Dieser Konvent teilt wie die Evangelische Christenheit in Deutschland und darüber hinaus – die gesamte Erfahrungsgeschichte der Folgen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und deren Folgen in der Vertreibung und der Flucht der jahrhundertelangen deutschsprachigen evangelischen Kirchen in Mittel- und Ost- und in Südosteuropa.

Es sind nur noch wenige Zeitzeugen aus der Erlebnisgeneration unter uns – umso entscheidender ist die Weitergabe der Erfahrungen in den Familiengeschichten und das story telling – weil in den konkreten Erzählungen die Bewahrung im Glauben in Anfechtung und Not lebendig bleibt – und die Geschichte der ehemaligen deutschen Ostkirchen einen Erinnerungs- und Erzählort braucht um die Brücke zu den gegenwärtigen Kirchen in Mittel und Osteuropa ökumenisch weiterzuführen.

Nun, 75 Jahre nach dem Ende des schrecklichen Krieges, danken wir Gott, dem Allmächtigen, dass er die Geschicke seiner Gläubigen so gut geleitet hat, dass wir in Frieden mit unseren Nachbarn leben und dieser Friede sich auch nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten in Mitteleuropa beständig erwiesen hat.

Zu den Früchten des Konventes wäre sehr viel zu erzählen – darüber gibt es auch schon präzise schriftliche Zeugnisse – einen neuen Schwung erhielt der Konvent nach der Wiedervereinigung da dadurch zum ersten Mal die Heimatvertriebenen in der SBZ/DDR öffentlich ihre Erfahrungen mitteilen konnten.

Als Beispiel nenne ich das Schlesische Konvikt in Halle, das v.a. auch durch die Ostleidenschaft des damaligen Regionalbischofs und Propstes von Halle wieder zum Leben erstehen konnte, weil er sich mit dem jetzigen Landesbischof und damaligen Studentenpfarrer Friedrich Kramer dafür eingesetzt hatte, dass dieses Schlesische Konvikt seitens der Evangelischen Kirche der Provinz Sachsen nicht einfach verkauft wurde, sondern als ein Ort des Lernens und Lebens erhalten bleibt und weiter die Brücken nach Schlesien offen hält; das Schlesische Konvikt, gestiftet von Graf Karl Philipp von Harrach, war vom preußischen König initiiert worden. Er hatte den schlesischen Professor Tholuck, in die rationalistische und in weiten Teilen kirchenferne geprägte Theologische Fakultät in Halle entsandt, um unter den Studenten ein Konvikt zu gründen, das sowohl der wissenschaftlichen Theologie als aber auch dem praktischen Glauben an Jesus Christus und natürlich auch der Treue zum Landesherrn Raum und Zeit geben sollte. Jedenfalls steht das Schlesische Konvikt, Gott sei Dank, bis heute, es trägt auch weiter den Namen „Schlesisches Konvikt“, ja, es ist sogar ein Modellprojekt einer integrativen Einrichtung geworden, weil auf der anderen Seite des Konviktes nun ein Haus für schwer geistlich und körperlich behinderte Menschen, der sogenannte „Lebens(t)raum“, entstanden ist, und die Beziehungen zu der Evangelischen Kirche A. B. in Schlesien bis heute beständig gepflegt werden. Das ist z.B. auch der Verdienst der Evangelischen Schlesier in Deutschland.

Die Frage, ob es einen solchen Konvent wie den unsrigen zukünftig brauchen wird, ist mehrfach schon in der Vergangenheit gestellt worden. Ich glaube, dass es notwendig und hilfreich ist, dass das geistliche Erbe der reformatorischen Frömmigkeit in Ostpreußen, in Galizien, in Wolhynien, am Schwarzen Meer, aber auch in Bessarabien, Siebenbürgen, Banat, in der Dobrudscha und an vielen anderen Orten in Schlesien und in Pommern weiter gegeben wird. Es ist notwendig, da, wie wir heute gerade in dem ostdeutschen Kontext sehr deutlich spüren, die religiöse Prägung im Wesentlichen familiär vermittelt wird. Das heißt, dass die Kinder durch die Eltern und durch die Umgebung, in der sie leben, religiös sprachfähig werden und dass je länger die Flucht und Vertreibung zurückliegt, aber auch die Auswanderung und Aussiedlung, immer wieder die Bezüge zu den ursprünglichen Orten, wo jahrhundertelang in den Kirchen gebetet wurde, hergestellt werden, und zwar über Erzählungen, über Erfahrungen, auch über die Erfahrung der Traumata, und dieses gerade im Lichte eines seit eben mehreren Jahren andauernden Krieges mitten in Europa, wo die Russische Föderation die Ukraine angreift und Elend über das ganze Land gebracht hat.

Die Aufgabe der Beziehungspflege der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa bleibt eine unabdingbare Aufgabe gerade in der Unterschiedlichkeit evangelischer Konfessionen, nämlich in Verbindung zu den Orten, wo die Reformation ihren Ausgang nahm und die kirchliche Erneuerung dann Früchte trug, die sehr unterschiedlich waren in den verschiedenen Teilen Mittel- und Osteuropas und auch Westeuropas. Die Gemeinschaft der Söhne und Töchter Gottes in Europa ist die Grundlage auch dieses Konventes, und sie trägt die Verheißung „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ – nämlich, dass ein Miteinander in Europa auch und gerade von den Christen notwendig ist und erwartet wird.

Das Evangelische Gesangbuch würde sehr dürr werden und das katholische „Gotteslob“ wahrscheinlich ähnlich, wenn all die Lieder nicht mehr im Gesangbuch stünden, die von denen gedichtet sind, die in anderen Gegenden Europas – heute in Polen, in der Russischen Föderation, aber auch in der Slowakei, in Ungarn, in Serbien, in Böhmen und Mähren, in Österreich gedichtet wurden.

Wir sind als Christen ein Volk auf dem Weg, nämlich auf dem Weg zu Gott, und unsere Aufgabe ist, dass wir mitten in unserem Alltag Europa eine Seele bewahren. Diese Seele ist nämlich der pfingstlich geprägte Ort, an dem die Menschen einander als Geschwister im Glauben erkennen, weil sie den Geist der Kindschaft empfangen haben und zu ihm rufen: „Abba lieber Vater“. Gerade das Pfingstwunder macht deutlich, dass Gott uns in verschiedenen Sprachen seinen Geist schenkt und dass wir, wenn Christus in der Mitte ist, einander verstehen können, über die Konfessions- und Kulturgrenzen hinaus. Am deutlichsten ist mir das geworden, als wir vor einigen Jahren mit einer Gruppe von Jugendlichen in Niederschlesien waren und mit Freude feststellten, dass sich dort, wo die früheren evangelischen Pastorate von orthodoxen Priestern und ihren Familien bewohnt werden, eine lebendige kirchliche Kultur weiterentwickelt hat, trotz des Weggangs und der Flucht der früheren deutschen Bevölkerung, und dass es nun, auch in der dritten Generation, ein gutes Miteinander der Nachkommen der Geflohenen und der ihrerseits vertriebenen Bewohner gibt, die sich in Niederschlesien ansiedeln mussten.

Ich wünsche dem 75-jährigen noch viele segensreiche Jahre!