Umgang der UEK mit Kirchengut aus den ehemaligen deutschen Gebieten im Osten

Pfarrer i.R. Dr. Martin Evang, Stv. Leiter des Amtsbereichs der UEK im Kirchenamt der EKD

Ich danke Ihnen für die Einladung, in Ihrem Konvent über den Umgang der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK) mit dem ihr anvertrauten Kirchengut aus den ehemaligen deutschen Gebieten zu berichten.
Die UEK wurde 2003 gegründet aus der Evangelischen Kirche der Union (EKU) und den Kirchen der Arnoldshainer Konferenz. Sie ist die Rechtsnachfolgerin der EKU, die 1953 als Zusammenschluss der damals selbstständig gewordenen ehemaligen Provinzialkirchen der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union (ApU) gegründet worden war. Die ApU war ihrerseits Rechtsnachfolgerin der früheren Preußischen Landeskirche.

In dieser historischen Tradition ist die UEK Eigentümerin des beweglichen Kirchengutes, das aus den untergegangenen Kirchengemeinden der ApU in den Gebieten östlich von Oder und Neiße (also im heuten Polen und Russland) stammt, soweit es am 08.05.1945 bereits in die westlich von Oder und Neiße gelegenen Teile Deutschlands gelangt war. Diese Eigentümerstellung der damaligen EKU (und heutigen UEK) hat das Kammergericht Berlin in einer Entscheidung von 1970 festgestellt.

Um welches Kirchengut handelt es sich? Zu unterscheiden sind grob zwei Gruppen. Eine große Gruppe bilden die Glocken. 1942 wurden in einer umfassenden Aktion des nationalsozialistischen Staates in ganz Deutschland und in den besetzen Gebieten Glocken aus Kirchentürmen geholt und zu Sammelplätzen gebracht, um sie einzuschmelzen und aus ihrem Material Waffenteile zu produzieren. Ein kleiner Teil dieser Glocken ist der Einschmelzung entgangen und fand sich nach dem Krieg auf dem sog. Hamburger Glockenfriedhof. Dort wurden die läutefähigen Glocken erfasst und an ihre Herkunftskirchen zurückgegeben, nicht jedoch, soweit sie aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße stammten. Diese Glocken wurden je nach ihrer Herkunft aus einer katholischen oder aus einer evangelischen Kirche an katholische und evangelische Kirchengemeinden im Gebiet der alten Bundesrepublik verliehen – jeweils ungefähr 500 Glocken. Über die „evangelischen“ Glocken und über die Leihverhältnisse wird im Amtsbereich der UEK in Zusammenarbeit mit dem Evangelischen Zentralarchiv Berlin (EZA) eine Datei geführt und auf Stand gehalten. Die Rechtsverhältnisse bei diesen Glocken sind im evangelischen und im katholischen Bereich etwas unterschiedlich, was im Kern auf zwei Unterschiede im Kirchenverständnis zurückgeht; aber das brauche ich hier nicht weiter auszuführen.
Wenn Glocken einmal irgendwo hängen und läuten, dann meist für unabsehbare Zeit. So auch die über ganz Deutschland verteilten Glocken, die im Eigentum der UEK stehen. In den letzten Jahren und tendenziell häufiger als früher gab es aber immer einmal wieder Fälle mit konkretem Regelungsbedarf. Nämlich vor allem dann, wenn Kirchen entwidmet werden sollten und sich die Frage stellt: Wohin mit der Glocke bzw. mit den Glocken? Vereinzelt kam es vor, dass in den betreffenden Kirchengemeinden das Wissen darum, dass eine Glocke gar nicht ihr gehört, erloschen war. Da nahm man ohne Wissen der UEK Kontakt zu der (in Polen zumeist katholischen) Gemeinde auf, die heute die ehemals deutsche evangelische Kirche nutzt, und strebte an, die Glocke dorthin zurückkehren zu lassen. In wie vielen Fällen dies tatsächlich geschehen ist, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Jedenfalls macht es leicht böses Blut, wenn die UEK davon „Wind bekommt“ und interveniert und darauf besteht, dass solche im Sinne der Versöhnung und Verständigung begrüßenswerten Aktionen jedenfalls nicht ohne ihr Wissen und ohne ihr Einverständnis stattfinden dürfen.
Im Amtsbereich der UEK haben wir solche Fälle zum Anlass genommen, einen Leitfaden für den Umgang mit Glocken zu verabschieden. Hier ist klar geregelt, dass die Glocken dort, wo sie – und solange sie – in liturgischem Gebrauch sind, genau richtig sind und dass auch etwaigen Begehren, dass Glocken in ihre Ursprungskirchen im heutigen Polen zurückgebracht werden, nicht stattgegeben werden soll, wenn sie weiter an ihren jetzigen Orten läuten können und sollen.
Etwas anders sieht es aus, wenn Glocken nicht mehr in liturgischem Gebrauch sind. Das ist bisher nur selten der Fall. So ist neulich eine Glocke aus einer entwidmeten Kirche in ein Glockenlager gebracht worden, das die UEK eigens eingerichtet hat. In einem besonders gelagerten Fall, der drei Glocken aus dem 18. Jahrhundert betrifft, ist es im letzten Jahr zu einer Rückkehr ins heutige Polen gekommen. Seit ca. 15 Jahren waren drei aus Danzig und Umgebung stammende Glocken im „Haus Hansestadt Danzig“ in Lübeck museal ausgestellt. Sie hatten früher in zwei Lübecker Kirchen geläutet, die in der Zwischenzeit entwidmet worden waren bzw. ein neues Geläut erhalten hatten. Diese Glocken sind aufgrund einer zivilgesellschaftlichen Initiative aus Lübeck und Danzig im letzten Jahr nach Danzig zurückgekehrt. Zwei Glocken stammen aus der mittelalterlichen Hospitalkirche „Corpus Christi“ (oder „Fronleichnamskirche“), in der in den 1520er Jahren als erster Kirche in Danzig überhaupt evangelisch gepredigt worden ist und die heute von der Polnisch-katholischen Kirche (vergleichbar der Altkatholischen Kirche bei uns) genutzt wird. Diese beiden Glocken sowie eine weitere, die aus einer heute katholischen Kirche südlich von Danzig stammt, sind im letzten Sommer von der Danziger Stadtgesellschaft in einer öffentlichen Veranstaltung feierlich begrüßt worden. Wir hoffen, dass sie demnächst auch wieder an ihren ursprünglichen Orten läuten werden. Aber eine solche Rückkehr von Glocken ist bisher ein Einzelfall und wird absehbar die Ausnahme bleiben. Denn wie gesagt: Glocken aus ehemaligen deutschen evangelischen Gemeinden, die in evangelischen Kirchen in Deutschland läuten, sollen in aller Regel dort bleiben, wo sie heute sind.

Die zweite große Gruppe von Kirchengut umfasst kleinere Gegenstände verschiedener Art aus kirchlichem Gebrauch. Sie sind in aller Regel von evangelischen Gemeindegliedern auf der Flucht mit in den Westen – den Westen von Oder und Neiße – gelangt. Ich nenne Kirchenbücher, Vasa Sacra, kirchliche Kunstwerke. Die Kirchenbücher aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, soweit sie in den Westen gelangt sind, werden im EZA in Berlin aufbewahrt und stehen dort der Forschung zur Verfügung. In Einzelfällen sind Kirchenbücher auch schon zu Kirchen, zu denen sie gehören, zurückgekehrt, und zwar je ein Band Taufregister und Trauungsregister zur Friedenskirche in Schweidnitz, die ja eine evangelische Kirche geblieben ist und zur Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen gehört. Der Leiter des EZA, Dr. Henning Pahl, hatte in einem Fall in einem Auktionskatalog das betreffende Kirchenbuch angeboten gefunden und die Rechte der UEK daran geltend gemacht. Das Buch ist dann in einer Feierstunde in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Anwesenheit des polnischen Botschafters in Deutschland an den Breslauer Bischof und Schweidnitzer Pfarrer Waldemar Pytel übergeben worden.
Apropos Dr. Pahl: Er vertritt in den Fragen, die das Eigentum an Archivalien und ihre Nutzung betreffen, eine ausgesprochen versöhnlich-pragmatische Haltung. Im Zeitalter der Digitalisierung sei weniger der Standort der originalen Materialien entscheidend als vielmehr die allgemeine Verfügbarkeit für die Forschung. (Ich erwähne hier den Arbeitskreis der EKU-Stiftung für kirchengeschichtliche Forschung, der sich zweimal jährlich im EZA trifft und immer wieder Themen der Preußischen Unionskirche und namentlich ihrer östlichen Kirchenprovinzen behandelt. Hier arbeitet auch als reguläres Mitglied der polnische Forscher Prof. Dr. Olgierd Kiec aus Zielona Góra mit, der sich um die Erforschung des evangelischen Polen hohe Verdienste erworben hat. Bei den Vasa Sacra – Taufschalen, Patenen und Hostiengefäßen, Abendmahlskelchen und -kannen, auch Kerzenleuchter) – verhält es sich ähnlich wie bei den Glocken: Sie sind – zumeist seit Jahrzehnten – als Leihgaben in evangelischen Kirchen in ganz Deutschland in gottesdienstlichem Gebrauch. Und dort sollen sie auch bleiben! In einzelnen Fällen sind Vasa Sacra auch in Museen ausgestellt, so z.B. seit Kurzem ein Kelch aus Stargard im Pommerschen Landesmuseum in Greifswald. Ich erinnere mich auch an einen Fall, wo ein aus Niederschlesien stammender älterer Herr einen dorther stammenden Kelch aufgespürt und dafür gesorgt hat, dass er in die Obhut der UEK4 gelangte. Sodann hat vor vielen Jahren der damalige Leiter des Amtes der UEK, Bischof Martin Schindehütte, einen Abendmahlskelch, der aus der Friedenskirche Jauer stammt, dorthin zurückgebracht und ihn im Gottesdienst übergeben. Ich erwähne hier, dass in einem Archivraum des Ev. Zentralarchivs einige Schränke mit einer Vielzahl von weiteren, renovierungsbedürftigen Vasa Sacra stehen, viele in einem bejammernswerten Zustand, oft auch ohne kunstgeschichtlichen Wert. Es kommt die Zeit, da wird darüber beraten werden müssen, was damit geschieht.
Und dann gibt es kirchliche Kunstwerke. Zuletzt hat uns beschäftigt ein aus einer schlesischen Kirche – es ist nicht mehr zu ermitteln, aus welcher – der Torso eines Kruzifixus, den über Jahrzehnte eine Familie in ihrer Obhut hatte. Die UEK hat das Objekt mit erheblichem Kostenaufwand restaurieren und konservieren lassen, und nun sieht es so aus, dass dafür ein würdiger Platz in einem Gottesdienst- oder Andachtsraum in Görlitz gefunden werden wird. Das schlesische Landesmuseum in Görlitz hatte zuvor wegen unsicherer Provenienz abgewunken …
„Unsichere Provenienz“ , das gilt auch für eine besondere Kostbarkeit, nämlich die beiden Portraits von Luther und Melanchthon von Lukas Cranach, die aus der Elisabethkirche in Breslau stammen. Sie hingen Jahrzehnte lang als Leihgaben der EKU bzw. der UEK in der Berliner Gemäldegalerie, wurden dann aber zurückgegeben – wegen ungeklärter Provenienz. Inzwischen hängen sie dort, wo diese beiden Reformatoren begraben liegen: gleich neben der Schlosskirche Wittenberg im Besucherzentrum des Schlosses. Der Anlass der Rückgabe der beiden Portraits war, dass die UEK das Retabel des mittelalterlichen Dreifaltigkeitsaltars der Marienkirche Danzig zusammen mit der Predella im Jahr 2020 an ihren Herkunfts- und Bestimmungsort hat zurückkehren lassen. Das polnische Kulturministerium hatte wiederholt die EKU und dann die UEK um Rückgabe dieses Kunstwerks ersucht, zuletzt verbunden mit der haltlosen Behauptung, dass es sich um Raubkunst handle. Solche Ersuchen haben EKU und UEK immer höflich, aber mit größter Bestimmtheit zurückgewiesen. 2018 wurde aber im Präsidium der UEK die Frage gestellt, ob es nicht an der Zeit wäre, als Geste ökumenischer Freundschaft und deutsch-polnischer Versöhnung diesen Altar nach Danzig zurückkehren zu lassen. Dafür wurde eine klare doppelte Bedingung formuliert: Es müsse, erstens, ein ausschließlich zwischen den beteiligten Kirchen zu vereinbarender Vorgang sein, d. h. zwischen der UEK auf der einen, dem Erzbistum Danzig und der heute katholischen Marienbasilika Danzig auf der anderen Seite. Zweitens komme nur eine Schenkung in Betracht; denn mit der Unterzeichnung eines Schenkungsvertrages würden die polnischen Partner den Eigentümerstatus der UEK ausdrücklich anerkennen. Dies konnte dann erstaunlich reibungslos verwirklicht werden. Seit fünf Jahren stehen Predella und Retabel wieder in der Marienkirche Danzig; eine Informationstafel informiert über die besondere Geschichte. Die Rückkehr des Altars war die Brücke zu einem noch weitaus größeren Projekt, das uns derzeit beschäftigt und noch eine ganze Weile beschäftigen wird: die Rückkehr und Wiedervereinigung des Danziger Paramentenschatzes.
Ich schalte hier ein, dass auch aus Löbenicht bei Königsberg in Ostpreußen ein „Kirchenschatz“ in den Westen gelangt ist. Er war vorher bei der Evangelischen Stiftung Neuerkerode aufbewahrt, wurde dort restauriert und ist seit einigen Jahren im Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg ausgestellt. Wie der Dreifaltigkeitsaltar ist der Danziger Paramentenschatz, den Angehörige der deutschen evangelischen Marienkirchengemeinde auf die Flucht mitgenommen und so vor der sicheren Vernichtung gerettet haben, untrennbar mit der Danziger Marienkirche verbunden, übrigens schon vorreformatorisch. Er gehört der UEK – aber er gehört zur Marienkirche Danzig. In Gegenwart der damaligen Ratsvorsitzenden und Beauftragten der EKD für das Verhältnis zu Polen, Präses Annette Kurschus, und der deutschen Generalkonsulin in Danzig, Cornelia Pieper, haben der Danziger Erzbischof, Dr. Tadeusz Wojda, der Prälat der Marienkirche Danzig, Ireneusz Bradtke, der Vorsitzende der UEK, Kirchenpräsident Dr. Dr. h. c. Volker Jung, und die Amtsbereichsleiterin der UEK, Bischöfin Petra Bosse-Huber, im Dezember 2022 einen Letter of Intent unterzeichnet, der die Übereignung der in Lübeck aufbewahrten ca. 100 Stücke der Danziger Paramente und ihre Rückkehr zur Marienkirche Danzig vorsieht. Dabei sollen einzelne Stücke weiterhin und dauerhaft im St. Annen-Museum Lübeck und im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg ausgestellt bleiben. Inzwischen ist eine ergänzende und konkretisierende Vereinbarung zur Umsetzung des Letter of Intent unterzeichnet worden. Die Realisierung des Projekts, für das ein neuer Bau errichtet werden soll, wird viele Jahren in Anspruch nehmen. Zahlreiche Partner sind zu gewinnen, ein Netzwerk ist zu knüpfen. Wir erfahren viel Ermutigung von denen, die davon erfahren. Die Veröffentlichung des Vorhabens hat unter den Heimatvertriebenen erhebliche Rückfragen und Kritik ausgelöst, denen die UEK, so gut es ging, begegnet ist. Inzwischen sind die Proteste abgeflaut. Zu einer angekündigten Übergabe von Unterschriften von Gegnern des Projekts ist es nie gekommen. Persönlich bin ich dankbar für Unterstützung, die die UEK auch aus Kreisen der Vertriebenenverbände erfahren hat.

„Der Umgang der UEK mit Kirchengut aus den ehemaligen deutschen Gebieten im Osten“: Ich hoffe, dass ich Ihnen einen lebendigen, aussagekräftigen Bericht gegeben habe, und freue mich auf Fragen und die Gelegenheit zu weiteren Erläuterungen.

Vielen Dank!