375 Jahre Westfälischer Friede

Auf einer Fachtagung des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. zum Thema „Friedensprozesse, Friedensschlüsse und Kriegsfolgen“ vom 7.-8. Februar 2023 in Berlin referierte Prof. Dr. Anuschka Tischer von der Universität Würzburg über den Westfälischen Frieden von 1648.

Der Westfälische Friede beendete nach einem vierjährigen Kongress in Münster und Osnabrück den Dreißigjährigen Krieg. Er wurde zum Grundgesetz für das Heilige Römische Reich bis zu seinem Ende 1806. Er förderte aber auch die Idee einer Verrechtlichung der internationalen Beziehungen.

Wichtige Punkte des Westfälischen Friedens waren:

die Gleichberechtigung von Katholiken, Lutheranern und Calvinisten, die nun ebenfalls in den Religionsfrieden eingeschlossen waren. Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 wurde  bestätigt, zugleich aber wurden Maßnahmen ergriffen, um das Wiederausbrechen eines Religionskrieges zu verhindern.

die Mitsprache und politischen Rechte der Reichsstände. Diese rund 300 Landesherrschaften im Heiligen Römischen Reich unterstanden nur dem Kaiser und dem Reichsverband, den sie selbst mit bildeten. Dieses System – die Grundlage des deutschen Föderalismus – wurde bestätigt. Die Reichsstände durften nun ausdrücklich Bündnisse schließen, allerdings nicht gegen Kaiser und Reich. In der Reichspolitik benötigte der Kaiser künftig ihre Zustimmung.

die gegenseitige internationale Verpflichtung. Der Friede war ein internationaler Vertrag, in dem sich die Unterzeichner auf eine gemeinsame Rechtsgrundlage stellten und Garantien gaben. Die Idee, Frieden durch vertragliche Grundlagen und gemeinsames Handeln zu schaffen und abzusichern, wurde dadurch wesentlich gefördert.

Frau Prof. Tischer hat uns im Nachgang zu ihrem Vortrag im Gespräch mit Annemarie Franke auf unsere Fragen geantwortet.

OKI: In diesem Jahr erinnern wir an 375 Jahre Westfälischer Frieden und verbinden damit unsere Wertschätzung für die damalige Diplomatie und Verhandlungsbereitschaft. Inwieweit ist dieses „Feiern“ zugleich eine politische und durch die Gegenwart motivierte Rückschau auf den 30-jährigen Krieg und sein Ende?

Prof. Dr. A.Tischer (A.T.): Zu unterschiedlichen Zeiten diente die Erinnerung an dieses historisch bedeutende Vertragswerk mal als Bestätigung für die Notwendigkeit des Friedenschließens, mal als Begründung für die Notwendigkeit neuer Kriege. Im 19. Jahrhundert stand das internationale Friedenswerk unter deutsch-nationalen Vorzeichen für einen Niedergang Deutschlands. Im 20. Jahrhundert wurde das 300-jährige Jubiläum 1948, was wenig überrascht, als Bestätigung für den Frieden als die beste aller Lösungen gefeiert. 50 Jahre später 1998 wurde dem Westfälischen Frieden als Grundlage Europas eine Europaratsausstellung in Münster und Osnabrück gewidmet und der Jahrestag war Anlass für ein europäische Gipfeltreffen.

OKI: Sie haben in Ihrem Vortrag sogleich darauf hingewiesen, dass Sie als Historikerin keine Ratschläge für die Gegenwart geben können und natürlich die Gepflogenheiten der Frühen Neuzeit sowohl den Verlauf des Krieges als auch der Friedensverhandlungen bedingt haben.

Was sind Ihrer Meinung nach die Besonderheiten dieses Prozesses bis hin zum Friedensschluss, die es lohnen angesichts der aktuellen europäischen Krise neu zu bedenken?

A.T.: Im 17. Jahrhundert gehörte Krieg selbstverständlich zum Alltag des Zusammenlebens der Mächte dazu. Man war im Krieg, aber gemeinsam bildete man eine Gemeinschaft: Krieg als Form des Agierens untereinander. Auch wenn es paradox klingt, aber Krieg und Verhandeln wurde nicht als Gegensatz gedacht.

Im Prozess des Verhandelns wurde die politische Existenz des Gegners nicht angetastet, eine Kriegsschuldfrage wurde nicht gestellt und der Friede sollte nicht zur Demütigung des Gegners dienen. Der Krieg war als Form der Kommunikation und Rechtsfindung – so schrecklich das angesichts der Bilder vom Krieg, die wir heute kennen, klingt – akzeptiert, aber dabei immer an bestimmte Regeln geknüpft. Wer Krieg führte, behielt dennoch die Friedensabsicht.

OKI: Das klingt fast wie den Krieg beschönigend und für uns unverständlich, bedenkt man, dass dieser Zustand 30 Jahre währte.

A.T.: Ja, natürlich, in den Jahrzehnten des Krieges kamen solche Vorstellungen auch an ihre Grenzen. Entsprechend wurde der Friede, der ihn beendete, schon zeitgenössisch als etwas Besonderes angesehen. Er besaß konfessionelle, verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Komponenten. Während für den Konfessionsfrieden ein Kompromiss verhandelt wurde, bestätigte der verfassungsrechtliche Frieden den Föderalismus und die politische Mitsprache im Reich.

OKI:  Sie sprachen vom „Konfessionsfrieden“, der eigentlich kein Friedensschluss war, sondern ein Kompromiss, der sicherlich nicht allen gefallen hat. Es wurde auf die konfessionellen Machtverhältnisse des sogenannten „Normaljahr“ 1624 zurückgegriffen und damit kriegerische Erfolge nicht in Rechnung gestellt. Wie ist es gelungen hier die verfeindeten Gegner zur Kompromissbereitschaft zu bewegen?

A.T.: Dieses Ergebnis kann man nicht allein aus den Verhandlungen erklären. Die Idee eines Normaljahrs, das zukünftigen konfessionellen Veränderungen das Konfliktpotential nahm, existierte schon länger. Die Frage war nur, welchen konfessionellen Zustand man festschreiben würde. Entscheidend war, dass es beim Westfälischen Frieden dann zu einer konfessionell ausgewogenen Regelung kam. Das bedeutete eine Gleichberechtigung der evangelischen Seite, die ohne das militärische Engagement Schwedens – und an seiner Seite auch das katholische Frankreich – nicht erreicht worden wäre. Man muss letztlich sehen, dass auch Diplomatie nur das erreichen kann, was die Mächteverhältnisse hergeben. Allerdings hatte sich nach 30 Jahren Krieg bei vielen die Überzeugung durchgesetzt, dass Religion nie wieder zum Krieg führen dürfe. Das erleichterte Kompromisse.

OKI: Was folgt aus diesem Rückblick auf den Verhandlungsprozess zur Beendigung des Krieges? Was sind Ihrer Meinung nach die Lehren, die man aus diesem Friedensprozess ziehen kann?

A.T.: Frieden ist ein langer Prozess, der mit dem Krieg beginnt und nicht mit dem Friedensschluss endet.

  • Frieden kommt (irgendwann)
  • Friedensschließen braucht: Geduld, Druck von vielen Seiten, Überwindung, unkonventionelle Lösung
  • Etablierte Institutionen und Verfahren nutzen
  • Frieden muss gesichert werden

OKI:  Diese Botschaft nehmen wir gerne mit auf unseren Weg. Vielen Dank für Ihre Zeit und alles Gute!