Interview mit Dr. Carmen Schuster, Landeskirchenkuratorin der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien.
OKI: Frau Schuster, Sie leben in Kleinschenk im Kreis Kronstadt, rumänisch Cincșor im Kreis Braşov, und engagieren sich vor Ort für die evangelische Gemeinde. Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?
CS: Seit fast 15 Jahren engagiere ich mich in Kleinschenk, meinem kleinen Heimatdorf in Siebenbürgen, für das evangelische und auch für das politische Gemeindeleben schlechthin. Dazu gehört auch der Erhalt unserer Kirchenburg, ein Bau aus dem 15. Jahrhundert, aber ebenso die Öffnung unserer Kirche für Aktuelles, in unserem Falle für moderne Kunst. Für die Gemeinde und für mich ist es wichtig, Gemeindeleben und Erhalt und Nutzung der Kirchenburg neu zu definieren. Die Siebenbürger Sachsen sind in den 1990er Jahren mehrheitlich ausgewandert, die Gemeinden massiv geschrumpft und stehen nun vor der Aufgabe, neue Wege zu finden, um Gemeindeleben zu ermöglichen und Kulturerbe zu erhalten. Dazu bedarf es einer soliden Wertebasis –derjenigen des gelebten, praktischen Christentums – aber auch persönlicher und beruflicher Erfahrungen und Kenntnisse, die Vertrauen in Neues ermöglichen.
OKI: Seit November letzten Jahres sind Sie Landeskirchenkuratorin der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR). Damit sind Sie die erste Frau in diesem Amt in der Geschichte der EKR. Was war Ihre Motivation, sich zur Wahl zu stellen? Spielte dabei der Wunsch eine Rolle, zum Frieden in Ihrem Land und in Europa beizutragen?
CS: Meine persönlichen Erfahrungen als jemand, die zu Zeiten des Ceausescu-Regimes ausgewandert ist, Teil der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft geblieben und anschließend zurückgekehrt ist, sowie meine beruflichen Erfahrungen im Managementbereich eines international tätigen Unternehmens, haben mich dazu bewogen, mich dieser Wahl schließlich zu stellen. Dass ich als erste Frau in diese Position gewählt wurde, freut mich, sind wir doch nicht nur eine traditionsverbundene Kirche, sondern auch eine Kirche im Aufbruch. Ich bedauere es aber auch, dass diese Wahl so spät kam – schade, dass die vielen begabten, ideenreichen und fleißigen siebenbürgischen Frauen nicht schon früher in unserer Kirche einen adäquaten Platz gefunden haben. Was für eine Vergeudung von Talenten und Möglichkeiten… .
Allerdings möchte ich hinzufügen, dass die “formelle” Geschlechtergerechtigkeit durch die Einführung der Frauenordination in der EKR bereits in den 1990er-Jahren erreicht wurde. Freilich ist in den Fragen der “praktischen” Geschlechtergerechtigkeit noch allerhand zu tun. Die Wahl zur Landeskirchenkuratorin ist ein Meilenstein auf einem Weg, der erst begonnen hat. Die Wahl hat nicht direkt mit der Friedenssicherung zu tun, jedoch ist weder Gemeindeaufbau, noch Schutz des Kulturgutes, noch Engagement der Frauen in unserer Kirche ohne Frieden möglich. Insoweit wird Friedenssicherung zur Priorität.
OKI: Rumänien ist ein direktes Nachbarland der Ukraine und durch eine rumänische Minderheit in der Ukraine mit dem heutigen ukrainischen Staat eng verbunden. Seit dem 24. Februar 2022 sind viele Kriegsflüchtlinge aufgenommen worden, Hilfstransporte starten aus Rumänien in die ukrainische Bukowina und andere Teile des Landes. Inwieweit ist die EKR beteiligt an dieser humanitären Hilfe? Wer sind Ihre Partner in der Ukraine?
CS: Der Ausbruch des Ukrainekrieges hat uns alle schockiert, weil wir Krieg in Europa nicht mehr für möglich hielten. Der Ukrainekrieg zeigt aber, dass Frieden und Demokratie nicht selbstverständlich sind. Wir müssen uns jeden Tag aufs Neue dafür persönlich und aktiv einsetzen. Die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien ist durch ihre Geschichte und deren Folgen bis heute besonders sensibel für solche Entwicklungen, für Menschen in Not, sie ist solidarisch mit ihnen. Bereits Ende Februar 2022 hat sie mit aktiven Hilfsaktionen begonnen. Zeitweise waren in den Einrichtungen unserer Gemeinden und der Landeskirche Hunderte von ukrainischen Flüchtlingen untergebracht – in den Erholungsheimen der Landeskirche (Wolkendorf, Michelsberg), aber auch in den Kirchengemeinden (Fogarasch, Kronstadt). Direkte Spenden über das Spendenkonto “Ajutor de Urgența” konnten eingeworben werden. Darüber hinaus gibt es seit langem gute Kontakte zur evangelischen Kirche in der Ukraine, vor allem zu einzelnen Kirchengemeinden. So wurde konkret und vor Ort Hilfe geleistet. Auch der ökumenische rumänische Verband AIDRom sowie der Verband der ukrainischen Minderheit in Rumänien hat uns geholfen, zu helfen. Wir haben Projektpartnerschaften mit der Diakonie Katastrophenhilfe, dem Lutherischen Weltbund und dem Gustav-Adolf-Werk aufgebaut. Bis zur Jahresmitte sind die Hilfsleistungen (Unterkunft, Verpflegung, Betreuung der Flüchtlinge) durch diese Projektgelder abgesichert. Für die Zeit danach suchen wir derzeit nach Finanzierungen.
OKI:Sie sprechen von der starken Solidarität in Ihrer Kirche mit den Menschen in der Ukraine. Gibt es vielleicht auch Unbehagen oder Sorgen, dass Hilfe aus Deutschland, die in den evangelischen Gemeinden in Siebenbürgen benötigt wird, jetzt weniger wird, da alle Aufmerksamkeit auf die Ukraine und ihre Not gelenkt ist?
CS: Ich sehe kein Unbehagen in unseren Kirchengemeinden. Unsere Partner haben höhere Spendenbeträge zugunsten unserer Flüchtlingsarbeit geleistet, so vom Missionswerk Berlin, vom Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, der Organisation der Siebenbürger Sachsen aus den USA und von der Aktion “Hoffnung für Osteuropa” der Diakonie Württemberg. Wir wissen, wie es ist, als Einzelner Opfer von Willkür oder Missständen zu sein. Uns wurde in der harten, durch Auswanderung und Krisen gekennzeichneten Zeit vor und nach der Wende 1989/90 sehr stark aus dem Ausland geholfen. Heute wollen wir mit unseren bescheidenen Mitteln dazu beitragen, dass anderen geholfen wird, die in Not sind.
OKI: Was möchten Sie uns gerne mit auf den Weg gehen? Haben Sie eine Botschaft für die Christen und Kirchen in Europa?
CS: Unsere siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft in Rumänien wurde in den letzten Jahrzehnten durch die Diktatur und anschließend auch durch den EU-Beitritt Rumäniens nachhaltig geprägt. Eine große Gemeinschaft ist zu einer kleinen geworden. In turbulenten Zeiten, geprägt von starken Veränderungen, ist die Verankerung in der Tradition nicht ausreichend, um Erreichtes zu bewahren. Neue Wege müssen erprobt werden. Es liegt an uns, mutig neue Wege zu erkunden und uns täglich dafür einzusetzen, dass christliche Gemeinschaft möglich und christliches Leben nicht gefährdet wird. Bewahren allein reicht nicht aus!
OKI: Vielen Dank für Ihre Zeit und das interessante Gespräch! (Dr. Carmen Schuster antwortete auf die Fragen von Annemarie Franke am 1. April 2023)