Ein Bürgerhaus als Glaubensbekenntnis 

Hans-Wilhelm Pietz, Das Biblische Haus in Görlitz. Eine Betrachtung, herausgegeben von der Evangelischen Innenstadtgemeinde Görlitz, Verlag Gunter Oettel 2024. 

Wer jemals in Görlitz gewesen ist oder einen Besuch plant, wird dieses besondere Denkmal der Altstadt entdecken: Das so genannte “Biblische Haus” an der Neißstraße auf dem Weg vom Untermarkt hinab zur Neiße entlang der Via Regia. Als Bewohner der Stadt macht man immer wieder einen Bogen um das Haus, da der Weg versperrt ist durch Touristengruppen, die sich die beindruckende Sandsteinfassade mit Szenen aus dem Alten und Neuen Testament erklären lassen. Um so erstaunlicher ist es, dass erst jetzt eine Betrachtung in Buchform erschienen ist, die sich der Bildmotive auf der Fassade dieses besonderen Bürgerhauses widmet. Anlass gab der in diesem Frühjahr in Görlitz erstmals gefeierte “Tag der Bibel”. Man kann sich vorstellen, dass die Idee zu diesem Buch den Autor schon lange begleitet hat, denn viele Jahr hat Hans-Wilhelm Pietz in direkter Nachbarschaft im Pfarrhaus der Ev. Innenstadtgemeinde, dem Moller-Haus, seinen Arbeitsplatz gehabt. Nur fehlte dem ehemaligen Pfarrer immer die Zeit, die er – zum Segen aller Leser dieses Buches – sich jetzt im Ruhestand genommen hat. 
Das Haus Neißstraße 29 in Görlitz ist ein Bürgerhaus und vorzügliches Beispiel der Görlitzer Hallenhaus-Architektur, dessen Bewohner seit 1403 nachweislich Kaufleute waren. Einer von ihnen, der Waidhändler und Kaufmann Hans Heinze d.Ä.  – Neubürger aus Thüringen – ließ das Haus umbauen und kostbar ausschmücken. So entstand 1570  die Fassade mit biblischen Motiven. Pietz beschreibt gleich zu Beginn, was den neuen Eigentümer und seine Bauleute geleitet hat: “Auf der Höhe des Portalgesimses ist über den drei Fenstern des Erdgeschosses ein Spruchband aus dem Stein herausgearbeitet. (…) Die durch einen leuchten Untergrund hervorgehobenen Buchstaben des Spruchbandes bilden die Worte eines Glaubensbekenntnisses: Gott ist mein Helfer, Erlöser und Tröster; auf den verlasse ich mich alleine.

Das Buch gibt zugleich eine Einführung in die Görlitzer Stadtgeschichte bezogen auf den Bautyp des Hallenhauses und führt in die Bedeutung von Bilderbibeln in der Zeit der Reformation ein. Gut die Hälfte des Buches ist der Beschreibung und theologischen Betrachtung der Reliefs gewidmet, die jeweils in ihrer Anordnung und Motivauswahl Bezüge zwischen Altem und Neuem Testament herstellen. An der Hausfassade werden die Erzählungen aus der Bibel ergänzt um eine dritte Bilderfolge: Acht Tugendgestalten symbolisieren die Leitfiguren eines erfüllten Lebens. Dem Text sind hervorragende Fotographien der Fassadenmotive und Reliefs von Frank Vater beigefügt, die gerade auch in den Vergrößerungen Details sichtbar werden lassen, die man im Stadtbild als Betrachter kaum erkennt. 

Seit 2009 ist das Hallenhaus Verwaltungssitz der Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur. Der Direktor des Museums Dr. Jasper von Richthofen hat das Geleitwort verfasst. In seinen Dankesworten am Ende des Bandes blickt Hans-Wilhelm Pietz zurück auf seine Begegnungen mit dem Biblischen Haus, die auf sein Wirken als Direktor der Evangelischen Akademie Görlitz zurückgehen. In dieser Zeit entstand zum ökumenischen Jahr der Bibel im September 2003 als Dokumentation einer Erzählnacht vor dem Biblischen Haus mit Susanne Nieimeyer und Jochem Westhof die CD-Aufnahme “Görlitz. Wenn Steine zu erzählen beginnen…” und ebenfalls der Bildband “Görlitzer Bilderbibel. Auf den Spuren der Bibel durch Görlitz”. Mögen auch dieses beiden Publikationen an dieser Stelle empfohlen sein. 

A.F.